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Alpha, Gedanken einer Himmelskatze

von Annelie Durth

mit Illustrationen von Dieter Stopka

 

LESEPROBE

 

Strahlende Augen -

Faszination einer Persönlichkeit auf sanften Pfoten. Glücklich kann sich der schätzen, der sein Leben in solcher Gemeinschaft auskosten kann.

 

 

Gestatten, Alpha

 

Zunächst möchte ich mich vorstellen. Vielleicht kennt Ihr mich sogar: Mein Name ist - genauer gesagt - mein Erdenname war Grand Champion d’Europe Alpha vom Freien Grund. Viele von Euch haben mich irgendwann einmal gesehen und waren von mir fasziniert. Ja, ich verstand es prächtig, mich in Menschenherzen hineinzuschmuggeln. Aber jetzt bin ich weit fort von Euch - oben - da wo das kräftige Blau des Himmels sich mit dem sanften Blaugrau meines Pelzes vermischt. Wir nennen es hier den Katzenhimmel.

Leider waren meine Erdentage gezählt, und ich musste mich allzu früh verabschieden. Wer auch immer schuldig war an meinem frühen Tod, irgendwann rächt sich alles in Eurer Welt. Eigentlich schade, denn ich war gerne mit Euch zusammen. Wenn Ihr an mich denkt, dann schaut doch einfach mal zu der kleinen weißen Wolke, die in Form eines Herzens über den Häusern vorbeizieht. Von hier aus kann ich Eure kleine Welt beobachten...

Wenn ich mein vertrautes Haus sehe, dann muss ich an die Menschen darin denken. Der Mann Klaus und sein Weibchen Annelie lasen mir jede Bitte von den Augen ab. Sie hatten mich so lieb, dass es weh tut. Ja, ich war wunschlos glücklich mit ihnen. Auch die beiden Menschenkinder der Familie - Anja und Sascha - zählten zu meinen Fans.

Manchmal des Nachts, wenn Annelie von mir träumt, dann sagt sie: ,Wir lieben Dich, Alpha’, und ich weiß, dass es wahr ist. Doch bisweilen ist das Schicksal grausam und hält Dinge für uns bereit, die niemand, wirklich niemand verhindern kann.

Ich war gern das Brummelchen, die Prinzessin, das Herzilein... Egal, welche Kosenamen auch immer meine Freunde für mich bereithielten - sie waren so schön, so passend. Ja, bei meiner Familie war ich, Alpha, die Größte.

Viele Leute reden davon, eine Katze zu besitzen. Solche Worte habe ich bei den Meinen niemals gehört. Sie wussten, dass so etwas Blödsinn ist. Eine Katze besitzt ihren Menschen, genau wie ich meine Beiden besaß - und um keinen Preis der Welt hätte ich sie gegen andere eingetauscht.

Urlaubsfahrten wurden meist so geplant, dass ich mitfahren konnte. Auf die Idee, mich einfach daheim zu lassen, wären sie gar nicht erst gekommen. Zahlreiche Campingplätze in ganz Europa habe ich kennengelernt, Häuser in der Bretagne, an der Côte d’Azur und in der Toskana...

Beim Bretagneurlaub wäre ich fast im Meer ertrunken, weil ich meiner Menschin nachsprang. Sie wollte partout ihre Miesmuscheln selber suchen. Das Salzwasser schmeckte abscheulich, aber die Miesen waren Spitze.

Auch ins Mittelmeer bin ich mal reingeplumpst. Die Seeigelchen haben mörderisch gezwickt. Annelie war anschließend rührend besorgt um meine Pfoten. Jede einzelne Zehe musste ich herzeigen. Abends gab es einen tollen Katzenschmaus: Aufgeschnittene Seeigelchen! Mit einem Stück Baguette wurde die obere Hälfte der stacheligen Piekser von meinen Freunden ausgelöffelt. Das orangerote Innere ließen sie mich kosten - mmh, es schmeckte fabelhaft.

Zweifelsohne haben mir fremde Häuser nicht immer gefallen. Ist doch einleuchtend - völlig andere Zimmereinrichtungen, Treppen, Fenster, aus denen man unbekannte Bilder anschaut - daran muss man sich als Katzentier erst gewöhnen. Doch ich hatte ja immer meine Freunde dabei. So konnte mir alles andere gestohlen bleiben.

 

Warum ich dieses Buch schreibe? Ich schreib’ es gar nicht! Mein weiblicher Mensch - meine Freundin Annelie - kann mich einfach nicht aus ihrem Gedächtnis streichen. Gewiss, sie lebt auch heute noch mit Katzen. Eine davon ist meine Tochter Jessica, Hier oben klingt es manchmal, als würde sie Alpha zu ihr sagen. Dann wird mir ganz warm ums Herz. Die andere Kätzin, Memory, heißt nur deshalb „Erinnerung“, weil es mich einmal gab. Der Dritte im Bunde ist Calando, ein verfressener, gutmütiger Kastrat. Eigentlich gehört er zu Sascha, dem Sohn der Familie. Aber was heißt das schon? Jedenfalls ist die Menschin seine Bezugsperson, wenn er ihr auch gelegentlich mächtig auf den Keks geht. Er versteht es nämlich vorzüglich, den Elefanten im Porzellanladen zu mimen.

Nachts, wenn meine Menschin schläft, habe ich die Macht, ihre Träume zu beeinflussen. Ich kann mit ihr reden und unsere gemeinsame Zeit kontinuierlich in ihr Gedächtnis zurückrufen. Für wenige Augenblicke darf ich bei ihr sein wie in alten Tagen. Dann lauscht sie auf meine innere Stimme, die ihr alles das zuflüstert, was sie am nächsten Tag zu Papier bringt.

,Annelie, warum schreibst Du nicht einfach alles auf! Dann können auch andere es lesen,’ sprach ich eines Nachts zu ihr. ,Uns hat so vieles verbunden. Ich werde Deine Hand führen, wenn Du Aufzeichnungen machst. Du wirst nicht nur mein Leben in guten oder schlechten Situationen schildern, sondern ich berichte Dir auch von meinen Freunden hier oben. Einen nach dem anderen werde ich Dir vorstellen und Du musst ihre Geschichten schreiben. Einige unserer Himmelskatzen erlebten auf Erden die Hölle. Sie zogen nicht das große Los mit ihren Menschen. Du weißt ja, nicht alle Zweibeiner lieben Tiere. Ich möchte es noch gezielter ausdrücken: Es gibt Menschen, die sich und ihresgleichen nicht mögen. Woher sollen diese bedauernswerten Geschöpfe auch nur die Kraft schöpfen, ein Tier zu lieben? Du musst schreiben, Annelie! Ich helfe Dir!’

Am nächsten Morgen schien die Menschin irgendwie fröhlich und sang ,Herzilein’. Man konnte es hier oben hören. Ihrem Mann erklärte sie: ,Ich beginne ein neues Manuskript. Heute Nacht habe ich mal wieder von Alpha geträumt. Weil ich sie ohnehin nicht vergessen kann, wird es mir gewiss nicht schwer fallen.’ Klaus reagierte lächelnd: ,Gute Idee! Schreibe über unsere Alpha, denn so eine Katze gab’s nur einmal! Sie hat es wirklich verdient - aber vergiss nicht, in Deinen Geschichten Blue-Andy zu erwähnen. Auch ihn wird es nie wieder geben.’

Als ich meine Menschen verlassen musste, um in eine andere Welt zu gehen, war es für sie der zweite Schicksalsschlag, den sie mit einem geliebten Tier erlitten. Lang, lang vor meiner Zeit lebte in ihrem Haus ein Kater: Blue-Andy. Auch er hatte einem festen Platz in ihren Herzen und musste viel zu früh Abschied nehmen - sogar auf recht tragische Weise. Blue-Andy hat mir alles erzählt. Als ich vor einiger Zeit ans Tor des Katzenhimmels klopfte, war er der erste, der mich begrüßte. Ich erfuhr, dass er mein Großvater ist und dass meine Menschen auch seine Menschen waren.

Wir sind gute Freunde geworden, Blue-Andy und ich. Nun sitzen wir gemeinsam auf der kleinen weißen Wolke am Horizont, erzählen Geschichten aus unserem früheren Leben und denken an die Menschen, die uns und die wir so geliebt haben...

***

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Sein Name war Andy

Zunächst möchte ich meinem Großvater zu Wort kommen lassen, denn ohne ihn wäre ich, Alpha, niemals geboren worden. Zu Lebzeiten war Blue-Andy wohl einer der stolzesten Vertreter der Kartäuserrasse. Doch mit seinem hohen Titel „Europachampion“ hat er nie etwas anfangen können.

Andy beginnt zu erzählen: „So ein Stumpfsinn! Ich bin von Ausstellung zu Ausstellung gedüst und habe manch Absurdes über mich ergehen lassen - und alles nur deshalb, weil sie aus mir einen Adeligen machen wollten.

Als begeisterter Autofahrer hat mir vieles sogar Spaß gemacht. Besonders die langen Fahrten waren mächtig interessant. Ich lag meist auf der Hutablage und konnte etliche Autofahrer hinter mir becircen. Du, ich habe ihnen vorgegaukelt, ich sei eine ausgestopfte Wackelkopfkatze. Ständig wurden wir überholt und mussten überholen - nur, damit die Fahrer mich richtig anstarren konnten.

Mich einen vollen Tag im Ausstellungskäfig schlafend zu stellen, war eigentlich recht interessant. Menschenmengen liefen vorbei, einer nach dem anderen lugte durchs Gitter und gab irgendeinen komischen Laut von sich, wie: ,Mi - mi - mi’ oder ,Du - du - du’. Einer schmatzte, der nächste schnalzte mit der Zunge, andere hatten lustige Pfiffe auf Lager. Gelegentlich wurde auch mit Gegenständen, wie Kugelschreiber oder Schlüsselbund, am Gitter entlang gekratzt. Das fand ich flegelhaft. Die Menschin empörte sich so sehr darüber, dass sie die Übeltäter jedes Mal ausschimpfte.

Was ich gar nicht mochte, das waren fremde Hände, die sich durchs Gitter zwängten und mich partout anfassen wollten. Deshalb legte ich mich stets außer Reichweite.

Meistens war ich gut drauf, aber im Ausstellungskäfig vor den Augen des Publikums in eine kleine Toilettenschale zu pinkeln, das konnte niemand von mir verlangen. Ich glaube, eher wäre meine Blase in tausend Stücke zerplatzt! Wenn meine Menschin dann als Sichtschutz eine Riesendecke darüber hängte und mir gut zuredete, ging es halbwegs.

Ich weiß noch, als wir damals in Duisburg von einer netten Menschin zum Übernachten in Meerbusch abgeholt wurden. Annelie und ich hatten ein behagliches Zimmerchen für uns allein. Sogar eine tolle Katzentoilette mit Dach hatte die aufmerksame Herrin des Hauses für mich bereitgestellt. Aber die Streu roch schrecklich fremd, ganz anders als daheim. Ich konnte mich einfach nicht erleichtern - die ganze Nacht hab’ ich’s ausgehalten! Annelie war am nächsten Morgen total entsetzt, weil ich auf dem Weg zur Ausstellung fast ihr Auto als Klo benutzt hätte. Mit den Worten: ,Damit Du keine Feindeinsicht hast...’, hängte sie über meinen Käfig eine Decke. Die Ausstellungstoilette quoll fast über, aber ich fühlte mich herrlich erlöst. Stell Dir vor, Alpha, einen kompletten Tag und eine Nacht das Wasser zu halten, grenzt schon an Wahnsinn.

Doch einmal fühlte ich mich wie ein erbärmlicher Katzenhund, Das war im November 1983, bei einer Katzenausstellung in Freiburg. Ein amerikanischer Juror, mit Namen Swanson, begrapschte und befummelte so unglaublich mein Hinterteil, dass mir fast die Aprikosen abgefallen wären. Menschen gibt's!? Nicht mal die edelsten Teile können sie in Ruhe lassen. Vor Scham wäre ich fast in den Boden versunken - am liebsten hätte ich diesem Amerikaner einen Wasserstrahl mitten ins Gesicht versetzt! Der Mensch wollte prüfen, ob ich wirklich männlichen Geschlechts war. Hätte ich ihm gleich sagen können: ,He, Mann, ich bin ein Kater - und zudem noch ein ganz, ganz lieber.’ Denn trotz derartiger Absurditäten habe ich mich nicht quergestellt - bin niemals ausgeflippt.

Ich machte keine Sperenzchen, war immer ein netter Bursche. Ich habe diesen Typen nie gezeigt, was ich von ihnen halte. Fast nie - nur ein einziges Mal - einem hab’ ich’s gegeben: Dem Vierbeiner, namens Ethan. Der Typ hat mir damals eine üble Suppe eingebrockt, an der ich für den Rest meines Lebens löffeln durfte:

Es war im Jahr 1984. Klaus und Annelie fuhren mit mir nach Süddeutschland. In Karlsruhe war eine große Katzenausstellung. Nächtigen wollten meine Menschen bei einem zweibeinigen Weibchen, namens Sonja. Das Dumme war nur: In Sonjas Haus lebte ein mächtiger Kartäuserkater: ,La Grisella’s Blue Ethan’. War das ein blöder Kerl!“

Blue-Andy wird zusehends unruhiger, springt auf und tapst von einer Pfote auf die andere. Es geht ihm nahe, was er mir erzählt. Das Erlebnis hat wohl sein Leben schlagartig verändert.

Andy beißt sich nervös in die Zehe und fährt fort: „ Weißt Du Alpha, meine Menschin, die Annelie, sie war meine Herzensfreundin. Ich weiß, dass auch Du sie gemocht hast! Aber warum hat sie nur immer behauptet, sie könne in unsere Seele hineinschauen? Keine Spur dergleichen konnte sie! Sie wusste nicht die Bohne, was in uns vorging. Sich und andern hat sie was vorgemacht und selbst daran geglaubt!

OK, ich war zu Lebzeiten ein braver Kater, aber wozu musste sie mich in Ethan’s Behausung schleifen? Ausgerechnet zu diesem Mistkübel, was sollte dieser Blödsinn? Ich wurde vor Panik fast verrückt! Hätte Annelie sich in meine Situation versetzen können, dann wäre sicher einiges anders verlaufen und mancher Groll erspart geblieben!“

Ich werde langsam neugierig und schmiege meinen Kopf in sein warmes, samtiges Fell. „Erzähl’ doch bitte weiter, Andy!’

,Nein, Annelie hatte wirklich null Ahnung von meinen Katergefühlen! Als wir Sonjas Haus betraten, fühlte ich mich beklemmt und vergaß fast, zu atmen. Ethan war scheinbar total überzeugt von seiner Manneskraft, er glaubte nämlich, sie jedem beweisen zu müssen. Alles, wirklich alles - bis zum letzten Gegenstand - roch nach seinem Männlichkeitsparfüm.

Ich empfand solchen Ekel, dass mir speiübel wurde. In dieser Umgebung sollte ich eine ganze, entsetzlich lange Nacht verweilen? O weh, das konnte nicht gut gehen.

Niemand dachte auch nur im geringsten daran, was in mir vorging. Wahrscheinlich hatten sie beide verstopfte Nasen oder waren einfach zu dumm, Ethans Duftnoten zu riechen. Vielleicht merkten sie es auch und wollten es mir nur nicht zeigen.

Unbedacht legten sie sich in die Betten und koksten nach wenigen Minuten. Wären es nicht meine besten Freunde gewesen, ich hätte sie in diesem Augenblick hassen können wie die Pest.

Drei Stunden rannte ich wie besoffen im Zimmer umher. Wie konnten sie sich mir gegenüber so gewissenlos verhalten. Gott hat doch den Menschen einen Verstand gegeben, hatte er meine Beiden vergessen?

Eine traurige Gewissheit überkam mich: ,Wenn ich hier ausharren muss, passiert heute Nacht ein Unglück!’ So geschah es dann auch...

Der Puppenwagen von Sonjas Menschenkind war ideal für mich. Eine leblose Puppe - vermutlich das Lieblingsspielzeug des Menschleins - lag hübsch bekleidet in weißen Kissen... ,Na, warte, Ethan! Dir werde ich’s zeigen! Mein Parfüm kann sich riechen lassen!’

Gedankenverloren sprang ich in den Wagen. Mit einem Mal ließen sich meine Gefühle nicht mehr beherrschen. Ich kam mir vor wie ein Auto, bei dem die Bremsen versagen - und schon war es passiert. Die Gesamtheit meiner zurückgehaltenen Männlichkeit sprudelte in Rinnsalen aus mir raus. In meinem Kopf hämmerten die Worte: ,Verdammt, ich bin es satt, immer nur der brave Junge zu sein! Ich bin ein Mann, und was für einer...’

Wie herrlich, was für ein Gefühl - wie das duftete. Das weiße Laken, die Puppe, der Rand des Puppenwagens - alles hatte jetzt das Aroma des großen Andy! Mein Parfüm war natürlich etwas edleres - feineres, als der Gestank des doofen Ethan! Ich legte mich neben das wohlriechende Püppchen - umgeben von meinem Flair sank ich schnell in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

Stimmen, laute und heftige Worte wie ,Meine Güte, der hat hier irgendwo hingepinkelt!’ - ,Verdammte Tat! Ausgerechnet bei fremden Leuten musste das passieren!’ -,Das stinkt ja zum Himmel...’ Mit meinem Herzensbrecherblick konnte ich nicht mal mehr Annelie einwickeln. Sie suchte und fand meinen Ort der Wonne. Unsanft riss sie mich aus dem Puppenwagen: ,Oh, Andy, was bist Du doch für ein Schwein! Nun sieh Dir an, was Du da gemacht hast! Der ganze Wagen schwimmt in Urin! Oh nein, wie das riecht... So eine Blamage.... Was mach’ ich denn jetzt?’

Geschwind entfernte sie die Laken und rannte damit ins Bad - ich hörte sie zetern: ,Zwecklos, ich kriege den Gestank nicht raus. Mein Gott, was wird Sonja dazu sagen?’

Als Sonja von meinem Malheur erfuhr, reagierte sie phänomenal. Sie hielt sich den Bauch vor Lachen und gab den Meinen zu verstehen: ,Stellt Euch nicht so an, ist doch kein Beinbruch! Im Grunde solltet Ihr doch wissen, dass auch Kater Gefühle haben. Die müssen ab und an zeigen, was in ihnen steckt.’ Sonja hatte anscheinend mehr Feeling als meine Beiden.“

„Erzähl’ bitte weiter, Andy“, bitte ich. Er schließt die Augen und flüstert kopfschüttelnd: „Oh, Alpha, hätte ich das doch nie getan. Diese Markiererei wurde für mich ein richtiger Zwang. Als wir wieder zu Hause waren, nahm ich mir sofort die Wohnzimmergardinen vor. Meine Menschin steckte sie schnell in die Waschmaschine, weil sie Angst hatte, ihr Klaus würde etwas merken und mich wegschicken. Aber der war doch auch ein Mann, genau wie ich! Weshalb sollte der mich nicht riechen können?

Die Gardinen waren frisch und sauber und rochen nach Waschpulver. Da kam mir der glorreiche Einfall, die Tapeten zu berieseln. Die konnte Annelie wenigstens nicht in die Waschmaschine stecken. Gedacht, getan! Das Wohnzimmer duftete so verführerisch, dass jede Katzendame vor Lust vergangen wäre, hätte sie dieses Parfüm wahrgenommen. Alle hätten sie nach mir geschmachtet - außer meiner Familie!

Meine Menschen konnten mich wieder mal nicht verstehen. Gemeinsam rutschten sie auf den Knien - entlang der gesamten Zimmerwände. Sie steckten ihre Nasen in die Tapeten und schnüffelten wie zwei Bluthunde, die eine heiße Spur verfolgen - genau in der Höhe, aus der ich meine Duftessenzen versprüht hatte.

Klaus und Annelie gaben so ein komisches Bild ab, daß ich am liebsten lauthals gelacht hätte. Aber wir Katzen wissen schließlich, was sich gehört. Es gibt kein Katzentier auf der Welt, das jemals diese Blöße zeigen würde. So stand ich nur da, regungslos, in Vorahnung, was danach auf mich zukommen würde...

Langer Rede kurzer Sinn: Ich musste umziehen. Mein neues Zuhause wurde die Waschküche, die Sommerküche - wo nur im Sommer gekocht wurde, damit die Küche sauber blieb - und der Außenzwinger, mit einer nicht erwähnenswerten Wasserpfütze, in der sich ein paar Kaulquappen langweilten. Es kann niemand nachempfinden, der es nicht wirklich erlebt hat. Ich fühlte mich einsam und unverstanden - alles in allem: Miserabel und katzenelend.

Annelie war von diesem Zeitpunkt an öfter mit mir zusammen, als mit ihrem Menschmann. Sie raunte mir liebe Worte ins Ohr, oder sie sang eigens für mich getextete Liedchen. Ich kuschelte mich an sie, wir schauten uns in die Augen, ihre Hände versanken in meinem dichten Pelz und sie sang. Sie sang nur für mich ihr Lied vom kleinen Bär:

 

‘Schau mich nicht so an, kleiner Bär!

Du weißt, dass ich zu niemandem gehör’.

Ich gehe meine Straße und ich träume meinen Traum -

und alles, was dazwischen liegt, das registrier’ ich kaum.

Irgendwie klingt’s dumm, kleiner Bär:

Die Sonne scheint, als ob rein gar nichts wär.

Da ist mal wieder Kummer, der an unsrer Seele frisst.

Komm, hilf mir zu vergessen, wie das Leben, wirklich ist.

Du beginnst, zu schnurren, kleiner Bär -

und Deine Augen sagen: Nimm es nicht so schwer.

Du hast ja recht, man soll das tun, was man für richtig hält;

sonst wird sie immer ärmer, diese Welt.

Danke, dass Du mein Freund bist, kleiner Bär!

Mein Brummelchen, Dich geb’ ich nie mehr her.

Du schaffst, was hier auf dieser Welt uns Menschen kaum gelingt:

Du schaffst es, dass das Eis in uns zerspringt.’

 

Wenn man von kleinen Unstimmigkeiten absieht, hatten wir eine herrliche Zeit miteinander, meine Familie und ich. - bis zu jenem Tag, an dem das große Brandunglück geschah. Es war der 21. März im Jahr 1986, ein kalter, verschneiter Freitag, den meine Menschen wohl niemals vergessen werden.“

Blue-Andy schaut zu der winzigen Wolke, auf der gerade eine herrliche Kartäuserkatze vorüberzieht. Es ist Bijou, meine Mutter. Sie neigt den Kopf und grüßt zu uns herüber. Viele schöne Kinder hat Andy gezeugt. Auch Mama war eines dieser bezaubernden Blaubärchen. Manchmal, wenn unsere Wolken sich begegnen, fällt meine Begrüßung gar zu stürmisch aus: Dann blitzt, donnert und hagelt es drunten bei Euch auf der Erde.

Plötzlich höre ich aus der Ferne die Stimme meiner Menschin. Sie singt den Teil eines Liedes von Peter Maffay:

 

,Iiich deenk’ oft an Andy,

und daran, wie er und ich für so lange Zeit uns verstanden...

 

...er war viel für mich, denn er war mein Freund. Sein Name war Andy...

 

Er war einfach da,

und es gab zwischen uns ein stilles Einverständnis.

So was gibt's im Leben nicht sehr oft...

 

...heut’ weiß ich: Träume sterben jung.... es spielt keine Rolle, auf welche Art ich ihn verloren hab’.

Das Schicksal kommt manchmal,

wie man nie denkt, aus heitrem Himmel auf uns zu...

...er war viel für mich, denn er war mein Freund,

sein Name war Andy...’

 

Mir ist mit einem Mal, als wüsste Annelie, dass wir beide hier oben sitzen und von vergangenen Zeiten träumen. Aber warum gerade jetzt dieses Lied, Menschin?’

„Andy, bitte erzähl’ doch weiter! Was geschah an jenem Freitag? Was war das für ein Brand?“ Andy holt tief Luft und seine Stimme beginnt zu zittern, als er fortfährt:

„Meine Menschin hatte sich in den Kopf gesetzt, in ihren alten Beruf zurückzugehen. Und was die will, das tut sie auch. Sie redet sich ein, dass ein Mensch alles schafft, was er wirklich will und sie lebt nach dem Motto: ,Entweder tue ich etwas ganz und habe Erfolg dabei oder ich lasse die Finger davon.’ Für Halbheiten ist sie nie gewesen. Folglich ließ sie mich ganze Tage allein. Abends war sie zwar rührend besorgt, aber vielleicht hatte sie auch nur ein schlechtes Gewissen. Ganze vier Wochen lief das nun so: Öde Tage und Schmusereien am Abend, bis in die Nacht hinein.

Dann kam der besagte Freitag. Wäre Annelie an jenem Tag zu Hause gewesen, dann dürfte ich heute sicher auf ihrem Sofa liegen, anstatt auf unserer Wolke um die Erde zu segeln. Aber der Morgen begann hektisch, wie immer in der letzten Zeit. Sie brachte mir mein Essen, schaltete den Heizlüfter ein und schloss das Fenster, mit den Worten: ,So, mein Junge - da draußen liegt Schnee, und es ist lausig kalt. Du bleibst heute besser hier drinnen, damit Du Dir keine Erkältung einfängst. Eine Frau hat sich angekündigt. Ihre Katze Mi schreit nach einem Bräutigam und hat dich auserkoren. Heute Abend darfst du Hochzeit feiern. Um neunzehn Uhr kommen die Beiden. Da musst Du fit sein, mein Junge!’ - Weg war sie, ohne sich umzuschauen.

Ich weiß nicht, wie es passierte - jedenfalls war ich fürchterlich deprimiert. Ich glaube, ich habe aus Wut oder Enttäuschung, weil sie einfach fort ging, gegen den laufenden Heizlüfter gepinkelt. Es knallte - das Licht ging aus - aus dem Lüfter züngelten kleine Flammen und leckten gierig am Teppich, immer weiter, immer weiter...

Binnen kürzester Zeit füllte sich meine gesamte kleine Welt mit dickem schwarzen Nebel. Der war stinkig und so undurchdringlich, daß mir das Atmen immer schwerer wurde. Es wurde heißer und heißer. Man kann sagen, ich saß fest wie die Maus in der Falle.

Das Fenster war fest verschlossen. Jämmerlicher als ein winziges Kätzchen, das gerade die Bekanntschaft eines Löwen macht, konnte ich mich weder wehren noch weglaufen.

Sollte ich jetzt sterben? Ich war doch nicht einmal vier Jahre alt. Warum kam denn niemand? Sascha, das männliche Menschenkind wohnte auch in diesem Haus - und er war doch mein Freund, warum merkte er nichts? Das letzte, woran ich mich erinnere war: ,Ich kann nicht mehr - Ende - ich kriege keine Luft mehr.....Panik.....’

Dann, mit einem Mal, fühlte ich mich leicht wie eine Feder und hatte überhaupt keine Angst mehr. Weder der Qualm noch die Hitze beunruhigten mich. Mir war, als würde ich schweben. Ich sah - direkt unter mir auf dem Teppich - meinen eigenen Körper liegen.

 

Der Qualm war inzwischen so dicht, dass man ihn hätte zerschneiden können. Für einen kurzen Moment steckte Sascha den Kopf zur Tür herein und schrie meinen Namen: ,Andy?’ Dann wiederholt: ,Andy... Andy...’, doch der Schrei wurde von einem Hustenanfall erstickt.

Die Tür schlug zu und wurde Sekunden später wieder geöffnet. Sascha hatte sich ein Handtuch vor Mund und Nase gehalten, aber er konnte mich nicht finden. ,Andy... Andy?’ Es war stockfinster. Warum blieb mein kleiner Freund nicht draußen? Er würde dabei draufgehen, genau wie ich.

Sascha hatte anscheinend gemerkt, dass er nichts tun konnte. Er rannte wieder fort. Unsichtbar, wie ich ja jetzt war, schwebte ich - hinter ihm her - nach draußen. Dort stand meine Menschin und heulte ganz erbärmlich. An der Straße hielt ein großes rotes Auto - und heraus sprang eine ganze Horde rot angezogener Männer.

Auch das Auto meines Freundes Klaus fuhr in die Einfahrt. Er stieg aus und eilte in den Flur. Ich hörte ihn Annelie fragen: ,Wo ist unser Kater? Wenn der noch da drinnen ist, dann kann ihm niemand mehr helfen!?!’ Bei diesen Worten sank die Menschin wie ein Häufchen Elend in sich zusammen. Als einer der roten Männer erwähnte, den benötigten Atemschutz müsse die Feuerwehr des Nachbarortes Burbach beschaffen, hatte ihre Beherrschung den Nullpunkt erreicht. Sie wurde fuchsteufelswild und hieb erbarmungslos auf den armen Kerl ein. Sie war völlig durchgedreht, die arme Menschin...

Minuten später hielt ein zweites rotes Auto und heraus hastete abermals eine Vielzahl roter Männer. Sie zogen sich blitzschnell ein seltsames Gebilde über den Kopf und der erste betrat die Unglücksstelle. Als er nicht zurückkam, folgte ein zweiter und leitete kurz darauf den ersten untergehakt vor das Haus. ,Der Atemschutz saß nicht richtig - Rauchvergiftung’, wurde vermutet.

Danach lief alles wie am Schnürchen. Annelie hatte sich unter die dicke Linde vor dem Haus gesetzt, als einer der roten Menschen meinen Körper in ihren Arm legte. ,Tut mir leid, Ihre Katze ist tot’, hörte ich ihn murmeln. Daraufhin schrie sie wieder herzergreifend: ,Andy, mein Andy, nein...’

Auf der Straße hatte sich inzwischen eine riesige Menschenmenge angesammelt. Manche gafften nur, andere grinsten dumm. Sie mochten wohl denken, dass ein Tier es nicht wert sei, Tränen dafür zu vergießen. Dumme, dumme Menschen... was wisst Ihr schon über uns...?

Tatsächlich trat einer der Umstehenden an die Menschin heran und meinte kopfschüttelnd: ,Stell’ Dich doch nicht so an - ‘s ist doch nur en Tier!’ Fassungslos sprang Annelie auf und rannte mit meinem leblosen Körper ins Bad. Mit einem nassen Tuch putzte sie mir den Ruß von Nase und Mund. Anschließend machte sie das, was ihr Menschen Mund-zu-Mund-Beatmung nennt. Danach drückte sie meinen Körper so stoßweise, als könne sie mich wieder lebendig machen. Merkte sie denn nicht, daß ich gestorben und schon fast kalt und steif war?

Sie lief zu Klaus und bat: ,Bitte bringe mich zu Dr. Müller!’ Der erkannte den Sinn dieser Fahrt nicht - konnte doch ein Tierarzt in diesem Fall auch nicht mehr helfen - aber Klaus fuhr.

Der Arzt öffnete meinen Körper und bemerkte: ,Die Lunge ist schwarz marmoriert, Andy ist erstickt! Er ist tot...’ Mit wenigen Stichen nähte er meinen Brustkorb wieder zu, und zwei kleine Tränen stahlen sich aus seinen Augen. Ich glaube, auch  Tierarzt Dr. Müller hatte mich mal gern.

In seinem ärztlichen Befund schrieb er:

,Der Kartäuserkater „Blue-Andy vom Freien Grund“, geboren am 02.07.82, wurde heute am 21.03.86 nach tödlicher Rauchvergiftung von mir untersucht.

Zur Sicherstellung der Todesursache wurde eine Sektion des Thorax durchgeführt. Das Herz des Katers war stark mit venösem Blut gefüllt. Alle Lungenlappen waren schwärzlich marmoriert und rochen deutlich nach Rauch.

Aufgrund des vorliegenden Befundes kann eine andere Todesursache, insbesondere ein systolischer Herztod durch elektrischen Strom, ausgeschlossen werden.’

 

Meine beiden Menschen waren schrecklich traurig, als sie ohne meinen Körper nach Hause fuhren. Sie ahnten ja nicht, dass ich - wenn auch für sie unsichtbar - mit ihnen im Auto saß. In jenem Auto, wo ich so viele gemeinsame Fahrten mit meinen Freunden unternommen hatte - in jenem Auto, wo ich die ausgestopfte Wackelkopfkatze gespielt und fremde Autofahrer gelinkt hatte.

Auf der Heimfahrt machte Klaus einen Abstecher im Nachbarort. Bei einer befreundeten Züchterin, mit Namen Friedel, hielt er an. Die wollte Annelie sofort ein Kind von mir schenken, einen kleinen Kater, mit Namen Andy. Aber meine Freundin sagte nur: ,Bitte nicht jetzt!’

Am nächsten Morgen erhielt meine Menschin ein sehr nettes Schreiben von Dr. Müller:

,...für Ihre tiefe Trauer darf ich Ihnen mein Verständnis und Mitgefühl zusichern.

Wenn Sie aber bedenken, um wie vieles schwerere menschliche Schicksale es bei Brandunfällen gibt und auch bei Ihnen hätte geben können, so sollte das Ihnen etwas helfen, über den Verlust hinwegzukommen, der sie betroffen hat...’

Ein halbes Jahr später ergab es sich, dass die Katze Bijou, meine Tochter - sie war im Haus der Züchterin Friedel groß geworden - in unserem Haus Einzug hielt. Sie feierte Hochzeit mit einem Kater, namens Khiana Blue-Jewel. Übrigens, ein Mordstyp - schwirrt auch hier oben irgendwo rum! Nach fünfundsechzig Tagen gebar Bijou fünf Kinder, darunter ein prächtiges Mädchen, das für Annelie ein neuer Anfang war. Das kleine Katzenkind erhielt einen außergewöhnlichen Namen. In seinem Klang spiegelte sich die Unendlichkeit des Weltalls. Es war der erste Buchstabe des griechischen Alphabets: Alpha - der Anfang!“

„Das bin ja ich“ „Ja, mein Enkelchen - das bist Du!“ Andy und ich schmiegen uns ganz dicht aneinander. Trauer legt sich über unsere Herzen und ein salziger Regen fällt vom Himmel. „Ach, Alpha“, stöhnt Andy, „wären wir doch wieder da unten - ich glaube, ich könnte alles dafür geben. Ich möchte noch einmal Annelies Sofabärchen sein. Dafür könnte ich mir sogar meine edlen Bömmelchen abrasieren lassen. Bei allen Hochzeiten hatte ich ohnehin am dritten Tag die Schnauze gestrichen voll und wollte lieber mit meiner Menschin schmusen.“

 

Ich schaue in seine großen goldenen Augen und denke an die gemeinsame Zeit mit unseren zweibeinigen Freunden. Mein ganzes Leben scheint in diesem Augenblick an mir vorüberzuziehen. In meiner Phantasie erlebe ich manche Geschichte aus meinem Erdendasein - da unten in der Welt - mit meinen Menschen - mit meiner geliebten Familie.

 

 

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