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Sein Name war Andy
Zunächst
möchte ich meinem Großvater zu Wort kommen lassen, denn ohne ihn
wäre ich, Alpha, niemals geboren worden. Zu Lebzeiten war Blue-Andy
wohl einer der stolzesten Vertreter der Kartäuserrasse. Doch mit
seinem hohen Titel „Europachampion“ hat er nie etwas anfangen
können.
Andy beginnt zu erzählen: „So ein
Stumpfsinn! Ich bin von Ausstellung zu Ausstellung gedüst und habe
manch Absurdes über mich ergehen lassen - und alles nur deshalb,
weil sie aus mir einen Adeligen machen wollten.
Als begeisterter Autofahrer hat mir
vieles sogar Spaß gemacht. Besonders die langen Fahrten waren
mächtig interessant. Ich lag meist auf der Hutablage und konnte
etliche Autofahrer hinter mir becircen. Du, ich habe ihnen
vorgegaukelt, ich sei eine ausgestopfte Wackelkopfkatze. Ständig
wurden wir überholt und mussten überholen - nur, damit die Fahrer
mich richtig anstarren konnten.
Mich einen vollen Tag im
Ausstellungskäfig schlafend zu stellen, war eigentlich recht
interessant. Menschenmengen liefen vorbei, einer nach dem anderen
lugte durchs Gitter und gab irgendeinen komischen Laut von sich,
wie: ,Mi - mi - mi’ oder ,Du - du - du’. Einer schmatzte, der
nächste schnalzte mit der Zunge, andere hatten lustige Pfiffe auf
Lager. Gelegentlich wurde auch mit Gegenständen, wie Kugelschreiber
oder Schlüsselbund, am Gitter entlang gekratzt. Das fand ich
flegelhaft. Die Menschin empörte sich so sehr darüber, dass sie die
Übeltäter jedes Mal ausschimpfte.
Was ich gar nicht mochte, das waren
fremde Hände, die sich durchs Gitter zwängten und mich partout
anfassen wollten. Deshalb legte ich mich stets außer Reichweite.
Meistens war ich gut drauf, aber im
Ausstellungskäfig vor den Augen des Publikums in eine kleine
Toilettenschale zu pinkeln, das konnte niemand von mir verlangen.
Ich glaube, eher wäre meine Blase in tausend Stücke zerplatzt! Wenn
meine Menschin dann als Sichtschutz eine Riesendecke darüber hängte
und mir gut zuredete, ging es halbwegs.
Ich weiß
noch, als wir damals in Duisburg von einer netten Menschin zum
Übernachten in Meerbusch abgeholt wurden. Annelie und ich hatten ein
behagliches Zimmerchen für uns allein. Sogar eine tolle
Katzentoilette mit Dach hatte die aufmerksame Herrin des Hauses für
mich bereitgestellt. Aber die Streu roch schrecklich fremd, ganz
anders als daheim. Ich konnte mich einfach nicht erleichtern - die
ganze Nacht hab’ ich’s ausgehalten! Annelie war am nächsten Morgen
total entsetzt, weil ich auf dem Weg zur Ausstellung fast ihr Auto
als Klo benutzt hätte. Mit den Worten: ,Damit Du keine Feindeinsicht
hast...’, hängte sie über meinen Käfig eine Decke. Die
Ausstellungstoilette quoll fast über, aber ich fühlte mich herrlich
erlöst. Stell Dir vor, Alpha, einen kompletten Tag und eine Nacht
das Wasser zu halten, grenzt schon an Wahnsinn.
Doch
einmal fühlte ich mich wie ein erbärmlicher Katzenhund, Das war im
November 1983, bei einer Katzenausstellung in Freiburg. Ein
amerikanischer Juror, mit Namen Swanson, begrapschte und befummelte
so unglaublich mein Hinterteil, dass mir fast die Aprikosen
abgefallen wären. Menschen gibt's!? Nicht mal die edelsten Teile
können sie in Ruhe lassen. Vor Scham wäre ich fast in den Boden
versunken - am liebsten hätte ich diesem Amerikaner einen
Wasserstrahl mitten ins Gesicht versetzt! Der Mensch wollte prüfen,
ob ich wirklich männlichen Geschlechts war. Hätte ich ihm gleich
sagen können: ,He, Mann, ich bin ein Kater - und zudem noch ein
ganz, ganz lieber.’ Denn trotz derartiger Absurditäten habe ich mich
nicht quergestellt - bin niemals ausgeflippt.
Ich
machte keine Sperenzchen, war immer ein netter Bursche. Ich habe
diesen Typen nie gezeigt, was ich von ihnen halte. Fast nie - nur
ein einziges Mal - einem hab’ ich’s gegeben: Dem Vierbeiner, namens
Ethan. Der Typ hat mir damals eine üble Suppe eingebrockt, an der
ich für den Rest meines Lebens löffeln durfte:
Es war im
Jahr 1984. Klaus und Annelie fuhren mit mir nach Süddeutschland. In
Karlsruhe war eine große Katzenausstellung. Nächtigen wollten meine
Menschen bei einem zweibeinigen Weibchen, namens Sonja. Das Dumme
war nur: In Sonjas Haus lebte ein mächtiger Kartäuserkater: ,La
Grisella’s Blue Ethan’. War das ein blöder Kerl!“
Blue-Andy
wird zusehends unruhiger, springt auf und tapst von einer Pfote auf
die andere. Es geht ihm nahe, was er mir erzählt. Das Erlebnis hat
wohl sein Leben schlagartig verändert.
Andy beißt sich nervös in die Zehe und
fährt fort: „ Weißt Du Alpha, meine Menschin, die Annelie, sie war
meine Herzensfreundin. Ich weiß, dass auch Du sie gemocht hast! Aber
warum hat sie nur immer behauptet, sie könne in unsere Seele
hineinschauen? Keine Spur dergleichen konnte sie! Sie wusste nicht
die Bohne, was in uns vorging. Sich und andern hat sie was
vorgemacht und selbst daran geglaubt!
OK, ich war zu Lebzeiten ein braver
Kater, aber wozu musste sie mich in Ethan’s Behausung schleifen?
Ausgerechnet zu diesem Mistkübel, was sollte dieser Blödsinn? Ich
wurde vor Panik fast verrückt! Hätte Annelie sich in meine Situation
versetzen können, dann wäre sicher einiges anders verlaufen und
mancher Groll erspart geblieben!“
Ich werde
langsam neugierig und schmiege meinen Kopf in sein warmes, samtiges
Fell. „Erzähl’ doch bitte weiter, Andy!’
,Nein, Annelie hatte wirklich null
Ahnung von meinen Katergefühlen! Als wir Sonjas Haus betraten,
fühlte ich mich beklemmt und vergaß fast, zu atmen. Ethan war
scheinbar total überzeugt von seiner Manneskraft, er glaubte
nämlich, sie jedem beweisen zu müssen. Alles, wirklich alles - bis
zum letzten Gegenstand - roch nach seinem Männlichkeitsparfüm.
Ich empfand solchen Ekel, dass mir
speiübel wurde. In dieser Umgebung sollte ich eine ganze,
entsetzlich lange Nacht verweilen? O weh, das konnte nicht gut
gehen.
Niemand dachte auch nur im geringsten
daran, was in mir vorging. Wahrscheinlich hatten sie beide
verstopfte Nasen oder waren einfach zu dumm, Ethans Duftnoten zu
riechen. Vielleicht merkten sie es auch und wollten es mir nur nicht
zeigen.
Unbedacht legten sie sich in die
Betten und koksten nach wenigen Minuten. Wären es nicht meine besten
Freunde gewesen, ich hätte sie in diesem Augenblick hassen können
wie die Pest.
Drei Stunden rannte ich wie besoffen
im Zimmer umher. Wie konnten sie sich mir gegenüber so gewissenlos
verhalten. Gott hat doch den Menschen einen Verstand gegeben, hatte
er meine Beiden vergessen?
Eine traurige Gewissheit überkam mich:
,Wenn ich hier ausharren muss, passiert heute Nacht ein Unglück!’ So
geschah es dann auch...
Der Puppenwagen von Sonjas
Menschenkind war ideal für mich. Eine leblose Puppe - vermutlich das
Lieblingsspielzeug des Menschleins - lag hübsch bekleidet in weißen
Kissen... ,Na, warte, Ethan! Dir werde ich’s zeigen! Mein Parfüm
kann sich riechen lassen!’
Gedankenverloren sprang ich in den
Wagen. Mit einem Mal ließen sich meine Gefühle nicht mehr
beherrschen. Ich kam mir vor wie ein Auto, bei dem die Bremsen
versagen - und schon war es passiert. Die Gesamtheit meiner
zurückgehaltenen Männlichkeit sprudelte in Rinnsalen aus mir raus.
In meinem Kopf hämmerten die Worte: ,Verdammt, ich bin es satt,
immer nur der brave Junge zu sein! Ich bin ein Mann, und was für
einer...’
Wie herrlich, was für ein Gefühl - wie
das duftete. Das weiße Laken, die Puppe, der Rand des Puppenwagens -
alles hatte jetzt das Aroma des großen Andy! Mein Parfüm war
natürlich etwas edleres - feineres, als der Gestank des doofen
Ethan! Ich legte mich neben das wohlriechende Püppchen - umgeben von
meinem Flair sank ich schnell in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Stimmen, laute und heftige Worte wie
,Meine Güte, der hat hier irgendwo hingepinkelt!’ - ,Verdammte Tat!
Ausgerechnet bei fremden Leuten musste das passieren!’ -,Das stinkt
ja zum Himmel...’ Mit meinem Herzensbrecherblick konnte ich nicht
mal mehr Annelie einwickeln. Sie suchte und fand meinen Ort der
Wonne. Unsanft riss sie mich aus dem Puppenwagen: ,Oh, Andy, was
bist Du doch für ein Schwein! Nun sieh Dir an, was Du da gemacht
hast! Der ganze Wagen schwimmt in Urin! Oh nein, wie das riecht...
So eine Blamage.... Was mach’ ich denn jetzt?’
Geschwind entfernte sie die Laken und
rannte damit ins Bad - ich hörte sie zetern: ,Zwecklos, ich kriege
den Gestank nicht raus. Mein Gott, was wird Sonja dazu sagen?’
Als Sonja von meinem Malheur erfuhr,
reagierte sie phänomenal. Sie hielt sich den Bauch vor Lachen und
gab den Meinen zu verstehen: ,Stellt Euch nicht so an, ist doch kein
Beinbruch! Im Grunde solltet Ihr doch wissen, dass auch Kater
Gefühle haben. Die müssen ab und an zeigen, was in ihnen steckt.’
Sonja hatte anscheinend mehr Feeling als meine Beiden.“
„Erzähl’
bitte weiter, Andy“, bitte ich. Er schließt die Augen und flüstert
kopfschüttelnd: „Oh, Alpha, hätte ich das doch nie getan. Diese
Markiererei wurde für mich ein richtiger Zwang. Als wir wieder zu
Hause waren, nahm ich mir sofort die Wohnzimmergardinen vor. Meine
Menschin steckte sie schnell in die Waschmaschine, weil sie Angst
hatte, ihr Klaus würde etwas merken und mich wegschicken. Aber der
war doch auch ein Mann, genau wie ich! Weshalb sollte der mich nicht
riechen können?
Die
Gardinen waren frisch und sauber und rochen nach Waschpulver. Da kam
mir der glorreiche Einfall, die Tapeten zu berieseln. Die konnte
Annelie wenigstens nicht in die Waschmaschine stecken. Gedacht,
getan! Das Wohnzimmer duftete so verführerisch, dass jede Katzendame
vor Lust vergangen wäre, hätte sie dieses Parfüm wahrgenommen. Alle
hätten sie nach mir geschmachtet - außer meiner Familie!
Meine Menschen konnten mich wieder mal
nicht verstehen. Gemeinsam rutschten sie auf den Knien - entlang der
gesamten Zimmerwände. Sie steckten ihre Nasen in die Tapeten und
schnüffelten wie zwei Bluthunde, die eine heiße Spur verfolgen -
genau in der Höhe, aus der ich meine Duftessenzen versprüht hatte.
Klaus und Annelie gaben so ein
komisches Bild ab, daß ich am liebsten lauthals gelacht hätte. Aber
wir Katzen wissen schließlich, was sich gehört. Es gibt kein
Katzentier auf der Welt, das jemals diese Blöße zeigen würde. So
stand ich nur da, regungslos, in Vorahnung, was danach auf mich
zukommen würde...
Langer Rede kurzer Sinn: Ich musste
umziehen. Mein neues Zuhause wurde die Waschküche, die Sommerküche -
wo nur im Sommer gekocht wurde, damit die Küche sauber blieb - und
der Außenzwinger, mit einer nicht erwähnenswerten Wasserpfütze, in
der sich ein paar Kaulquappen langweilten. Es kann niemand
nachempfinden, der es nicht wirklich erlebt hat. Ich fühlte mich
einsam und unverstanden - alles in allem: Miserabel und katzenelend.
Annelie war von diesem Zeitpunkt an
öfter mit mir zusammen, als mit ihrem Menschmann. Sie raunte mir
liebe Worte ins Ohr, oder sie sang eigens für mich getextete
Liedchen. Ich kuschelte mich an sie, wir schauten uns in die Augen,
ihre Hände versanken in meinem dichten Pelz und sie sang. Sie sang
nur für mich ihr Lied vom kleinen Bär:
‘Schau mich nicht so an, kleiner
Bär!
Du weißt, dass ich zu niemandem
gehör’.
Ich gehe meine Straße und ich
träume meinen Traum -
und alles, was dazwischen liegt,
das registrier’ ich kaum.
Irgendwie klingt’s dumm, kleiner
Bär:
Die Sonne scheint, als ob rein gar
nichts wär.
Da ist mal wieder Kummer, der an
unsrer Seele frisst.
Komm, hilf mir zu vergessen, wie
das Leben, wirklich ist.
Du beginnst, zu schnurren, kleiner
Bär -
und Deine Augen sagen: Nimm es
nicht so schwer.
Du hast ja recht, man soll das tun,
was man für richtig hält;
sonst wird sie immer ärmer, diese
Welt.
Danke, dass Du mein Freund bist,
kleiner Bär!
Mein Brummelchen, Dich geb’ ich nie
mehr her.
Du schaffst, was hier auf dieser
Welt uns Menschen kaum gelingt:
Du schaffst es, dass das Eis in uns
zerspringt.’
Wenn man von kleinen Unstimmigkeiten
absieht, hatten wir eine herrliche Zeit miteinander, meine Familie
und ich. - bis zu jenem Tag, an dem das große Brandunglück geschah.
Es war der 21. März im Jahr 1986, ein kalter, verschneiter Freitag,
den meine Menschen wohl niemals vergessen werden.“
Blue-Andy schaut zu der winzigen
Wolke, auf der gerade eine herrliche Kartäuserkatze vorüberzieht. Es
ist Bijou, meine Mutter. Sie neigt den Kopf und grüßt zu uns
herüber. Viele schöne Kinder hat Andy gezeugt. Auch Mama war eines
dieser bezaubernden Blaubärchen. Manchmal, wenn unsere Wolken sich
begegnen, fällt meine Begrüßung gar zu stürmisch aus: Dann blitzt,
donnert und hagelt es drunten bei Euch auf der Erde.
Plötzlich höre ich aus der Ferne die
Stimme meiner Menschin. Sie singt den Teil eines Liedes von Peter
Maffay:
,Iiich deenk’ oft an Andy,
und daran, wie er und ich für so lange
Zeit uns verstanden...
...er war viel für mich, denn er war
mein Freund. Sein Name war Andy...
Er war einfach da,
und es gab zwischen uns ein stilles
Einverständnis.
So was gibt's im Leben nicht sehr
oft...
...heut’ weiß ich: Träume sterben
jung.... es spielt keine Rolle, auf welche Art ich ihn verloren
hab’.
Das Schicksal kommt manchmal,
wie man nie denkt, aus heitrem Himmel
auf uns zu...
...er war viel für mich, denn er war
mein Freund,
sein Name war Andy...’
Mir ist
mit einem Mal, als wüsste Annelie, dass wir beide hier oben sitzen
und von vergangenen Zeiten träumen. Aber warum gerade jetzt dieses
Lied, Menschin?’
„Andy, bitte erzähl’ doch weiter! Was
geschah an jenem Freitag? Was war das für ein Brand?“ Andy holt tief
Luft und seine Stimme beginnt zu zittern, als er fortfährt:
„Meine Menschin hatte sich in den Kopf
gesetzt, in ihren alten Beruf zurückzugehen. Und was die will, das
tut sie auch. Sie redet sich ein, dass ein Mensch alles schafft, was
er wirklich will und sie lebt nach dem Motto: ,Entweder tue ich
etwas ganz und habe Erfolg dabei oder ich lasse die Finger davon.’
Für Halbheiten ist sie nie gewesen. Folglich ließ sie mich ganze
Tage allein. Abends war sie zwar rührend besorgt, aber vielleicht
hatte sie auch nur ein schlechtes Gewissen. Ganze vier Wochen lief
das nun so: Öde Tage und Schmusereien am Abend, bis in die Nacht
hinein.
Dann kam der besagte Freitag. Wäre
Annelie an jenem Tag zu Hause gewesen, dann dürfte ich heute sicher
auf ihrem Sofa liegen, anstatt auf unserer Wolke um die Erde zu
segeln. Aber der Morgen begann hektisch, wie immer in der letzten
Zeit. Sie brachte mir mein Essen, schaltete den Heizlüfter ein und
schloss das Fenster, mit den Worten: ,So, mein Junge - da draußen
liegt Schnee, und es ist lausig kalt. Du bleibst heute besser hier
drinnen, damit Du Dir keine Erkältung einfängst. Eine Frau hat sich
angekündigt. Ihre Katze Mi schreit nach einem Bräutigam und hat dich
auserkoren. Heute Abend darfst du Hochzeit feiern. Um neunzehn Uhr
kommen die Beiden. Da musst Du fit sein, mein Junge!’ - Weg war sie,
ohne sich umzuschauen.
Ich weiß nicht, wie es passierte -
jedenfalls war ich fürchterlich deprimiert. Ich glaube, ich habe aus
Wut oder Enttäuschung, weil sie einfach fort ging, gegen den
laufenden Heizlüfter gepinkelt. Es knallte - das Licht ging aus -
aus dem Lüfter züngelten kleine Flammen und leckten gierig am
Teppich, immer weiter, immer weiter...
Binnen kürzester Zeit füllte sich
meine gesamte kleine Welt mit dickem schwarzen Nebel. Der war
stinkig und so undurchdringlich, daß mir das Atmen immer schwerer
wurde. Es wurde heißer und heißer. Man kann sagen, ich saß fest wie
die Maus in der Falle.
Das Fenster war fest verschlossen.
Jämmerlicher als ein winziges Kätzchen, das gerade die Bekanntschaft
eines Löwen macht, konnte ich mich weder wehren noch weglaufen.
Sollte ich jetzt sterben? Ich war doch
nicht einmal vier Jahre alt. Warum kam denn niemand? Sascha, das
männliche Menschenkind wohnte auch in diesem Haus - und er war doch
mein Freund, warum merkte er nichts? Das letzte, woran ich mich
erinnere war: ,Ich kann nicht mehr - Ende - ich kriege keine Luft
mehr.....Panik.....’
Dann, mit einem Mal, fühlte ich mich
leicht wie eine Feder und hatte überhaupt keine Angst mehr. Weder
der Qualm noch die Hitze beunruhigten mich. Mir war, als würde ich
schweben. Ich sah - direkt unter mir auf dem Teppich - meinen
eigenen Körper liegen.
Der Qualm war inzwischen so dicht,
dass man ihn hätte zerschneiden können. Für einen kurzen Moment
steckte Sascha den Kopf zur Tür herein und schrie meinen Namen:
,Andy?’ Dann wiederholt: ,Andy... Andy...’, doch der Schrei wurde
von einem Hustenanfall erstickt.
Die Tür schlug zu und wurde Sekunden
später wieder geöffnet. Sascha hatte sich ein Handtuch vor Mund und
Nase gehalten, aber er konnte mich nicht finden. ,Andy... Andy?’ Es
war stockfinster. Warum blieb mein kleiner Freund nicht draußen? Er
würde dabei draufgehen, genau wie ich.
Sascha hatte anscheinend gemerkt, dass
er nichts tun konnte. Er rannte wieder fort. Unsichtbar, wie ich ja
jetzt war, schwebte ich - hinter ihm her - nach draußen. Dort stand
meine Menschin und heulte ganz erbärmlich. An der Straße hielt ein
großes rotes Auto - und heraus sprang eine ganze Horde rot
angezogener Männer.
Auch das Auto meines Freundes Klaus
fuhr in die Einfahrt. Er stieg aus und eilte in den Flur. Ich hörte
ihn Annelie fragen: ,Wo ist unser Kater? Wenn der noch da drinnen
ist, dann kann ihm niemand mehr helfen!?!’ Bei diesen Worten sank
die Menschin wie ein Häufchen Elend in sich zusammen. Als einer der
roten Männer erwähnte, den benötigten Atemschutz müsse die Feuerwehr
des Nachbarortes Burbach beschaffen, hatte ihre Beherrschung den
Nullpunkt erreicht. Sie wurde fuchsteufelswild und hieb
erbarmungslos auf den armen Kerl ein. Sie war völlig durchgedreht,
die arme Menschin...
Minuten später hielt ein zweites rotes
Auto und heraus hastete abermals eine Vielzahl roter Männer. Sie
zogen sich blitzschnell ein seltsames Gebilde über den Kopf und der
erste betrat die Unglücksstelle. Als er nicht zurückkam, folgte ein
zweiter und leitete kurz darauf den ersten untergehakt vor das Haus.
,Der Atemschutz saß nicht richtig - Rauchvergiftung’, wurde
vermutet.
Danach lief alles wie am Schnürchen.
Annelie hatte sich unter die dicke Linde vor dem Haus gesetzt, als
einer der roten Menschen meinen Körper in ihren Arm legte. ,Tut mir
leid, Ihre Katze ist tot’, hörte ich ihn murmeln. Daraufhin schrie
sie wieder herzergreifend: ,Andy, mein Andy, nein...’
Auf der
Straße hatte sich inzwischen eine riesige Menschenmenge angesammelt.
Manche gafften nur, andere grinsten dumm. Sie mochten wohl denken,
dass ein Tier es nicht wert sei, Tränen dafür zu vergießen. Dumme,
dumme Menschen... was wisst Ihr schon über uns...?
Tatsächlich trat einer der Umstehenden
an die Menschin heran und meinte kopfschüttelnd: ,Stell’ Dich doch
nicht so an - ‘s ist doch nur en Tier!’ Fassungslos sprang Annelie
auf und rannte mit meinem leblosen Körper ins Bad. Mit einem nassen
Tuch putzte sie mir den Ruß von Nase und Mund. Anschließend machte
sie das, was ihr Menschen Mund-zu-Mund-Beatmung nennt. Danach
drückte sie meinen Körper so stoßweise, als könne sie mich wieder
lebendig machen. Merkte sie denn nicht, daß ich gestorben und schon
fast kalt und steif war?
Sie lief zu Klaus und bat: ,Bitte
bringe mich zu Dr. Müller!’ Der erkannte den Sinn dieser Fahrt nicht
- konnte doch ein Tierarzt in diesem Fall auch nicht mehr helfen -
aber Klaus fuhr.
Der Arzt öffnete meinen Körper und
bemerkte: ,Die Lunge ist schwarz marmoriert, Andy ist erstickt! Er
ist tot...’ Mit wenigen Stichen nähte er meinen Brustkorb wieder zu,
und zwei kleine Tränen stahlen sich aus seinen Augen. Ich glaube,
auch Tierarzt Dr. Müller hatte mich mal gern.
In seinem ärztlichen Befund schrieb
er:
,Der
Kartäuserkater „Blue-Andy vom Freien Grund“, geboren am 02.07.82,
wurde heute am 21.03.86 nach tödlicher Rauchvergiftung von mir
untersucht.
Zur
Sicherstellung der Todesursache wurde eine Sektion des Thorax
durchgeführt. Das Herz des Katers war stark mit venösem Blut
gefüllt. Alle Lungenlappen waren schwärzlich marmoriert und rochen
deutlich nach Rauch.
Aufgrund des vorliegenden Befundes kann eine andere Todesursache,
insbesondere ein systolischer Herztod durch elektrischen Strom,
ausgeschlossen werden.’
Meine
beiden Menschen waren schrecklich traurig, als sie ohne meinen
Körper nach Hause fuhren. Sie ahnten ja nicht, dass ich - wenn auch
für sie unsichtbar - mit ihnen im Auto saß. In jenem Auto, wo ich so
viele gemeinsame Fahrten mit meinen Freunden unternommen hatte - in
jenem Auto, wo ich die ausgestopfte Wackelkopfkatze gespielt und
fremde Autofahrer gelinkt hatte.
Auf der
Heimfahrt machte Klaus einen Abstecher im Nachbarort. Bei einer
befreundeten Züchterin, mit Namen Friedel, hielt er an. Die wollte
Annelie sofort ein Kind von mir schenken, einen kleinen Kater, mit
Namen Andy. Aber meine Freundin sagte nur: ,Bitte nicht jetzt!’
Am
nächsten Morgen erhielt meine Menschin ein sehr nettes Schreiben von
Dr. Müller:
,...für Ihre tiefe Trauer darf ich Ihnen mein Verständnis und
Mitgefühl zusichern.
Wenn
Sie aber bedenken, um wie vieles schwerere menschliche Schicksale es
bei Brandunfällen gibt und auch bei Ihnen hätte geben können, so
sollte das Ihnen etwas helfen, über den Verlust hinwegzukommen, der
sie betroffen hat...’
Ein
halbes Jahr später ergab es sich, dass die Katze Bijou, meine
Tochter - sie war im Haus der Züchterin Friedel groß geworden - in
unserem Haus Einzug hielt. Sie feierte Hochzeit mit einem Kater,
namens Khiana Blue-Jewel. Übrigens, ein Mordstyp - schwirrt auch
hier oben irgendwo rum! Nach fünfundsechzig Tagen gebar Bijou fünf
Kinder, darunter ein prächtiges Mädchen, das für Annelie ein neuer
Anfang war. Das kleine Katzenkind erhielt einen außergewöhnlichen
Namen. In seinem Klang spiegelte sich die Unendlichkeit des
Weltalls. Es war der erste Buchstabe des griechischen Alphabets:
Alpha - der Anfang!“
„Das bin
ja ich“ „Ja, mein Enkelchen - das bist Du!“ Andy und ich schmiegen
uns ganz dicht aneinander. Trauer legt sich über unsere Herzen und
ein salziger Regen fällt vom Himmel. „Ach, Alpha“, stöhnt Andy,
„wären wir doch wieder da unten - ich glaube, ich könnte alles dafür
geben. Ich möchte noch einmal Annelies Sofabärchen sein. Dafür
könnte ich mir sogar meine edlen Bömmelchen abrasieren lassen. Bei
allen Hochzeiten hatte ich ohnehin am dritten Tag die Schnauze
gestrichen voll und wollte lieber mit meiner Menschin schmusen.“
Ich
schaue in seine großen goldenen Augen und denke an die gemeinsame
Zeit mit unseren zweibeinigen Freunden. Mein ganzes Leben scheint in
diesem Augenblick an mir vorüberzuziehen. In meiner Phantasie erlebe
ich manche Geschichte aus meinem Erdendasein - da unten in der Welt
- mit meinen Menschen - mit meiner geliebten Familie.
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